Chancenaufenthaltsrecht ist das Gegenteil von reibungslos

Bayerischer Flüchtlingsrat hält Umsetzung des Chancenaufenthalts für weniger rosig als Innenminister Herrmann und sieht Nachholbedarf bei bayerischen Ausländerbehörden

Das am 01.01.2023 in Kraft getretene Chancenaufenthaltsrecht ist mittlerweile mehr als ein Jahr alt. Laut den Zahlen aus dem Bayerischen Innenministerium konnten bislang rund 7.500 geduldete Menschen davon profitieren. Gestern lobte der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann in einer Pressemitteilung bayerische Ausländerbehörden für die „reibungs- und problemlose Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts“. Für den Bayerischen Flüchtlingsrat und weitere Organisationen aus der Beratungspraxis stellt sich die Umsetzung jedoch alles andere als reibungslos dar.

„Dieses Lob können wir nicht nachvollziehen“, teilt Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat mit. „Zweifelsohne konnten viele Personen in Bayern bislang vom Chancenaufenthalt profitieren. Dennoch sehen wir nach wie vor, dass Ausländerbehörden jedes Schlupfloch ergreifen, um Anträge abzulehnen, Anträge gar nicht erst bearbeiten sowie falsch oder gar nicht beraten.“

Am 29. Januar hat der Bayerischer Flüchtlingsrat gemeinsam mit dem Münchner Flüchtlingsrat und dem Bellevue di Monaco eine Pressemitteilung zum Fachtag „Ein Jahr Chancenaufenthalt in Bayern“ veröffentlicht und auf die vielen Fallstricke hingewiesen. Aufgrund von Ungenauigkeiten in der Gesetzesformulierung sowie diverser Ausschlussgründe in der Praxis, haben viele Geduldete in Bayern keine Möglichkeit auf den Chancenaufenthalt.

So erreichen Antragsteller:innen etwa häufig nicht die erforderten Duldungszeiten, da statt einer Duldung immer wieder gesetzlich nicht geregelte Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt oder Duldungen ungültig gestempelt werden. Zudem stellen Ausländerbehörden aus heiterem Himmel Strafanzeigen wegen Passlosigkeit, so dass der Antrag auf den Chancenaufenthalt zunächst nicht weiterbearbeitet oder gleich abgelehnt wird.

„Nach wie vor fallen viele Betroffene aufgrund einseitigen Behördenhandelns aus dem Chancenaufenthaltsrecht heraus. Ziel des Gesetzes war es, Menschen eine Brücke in ein dauerhaftes Bleiberecht zu bauen. Wir fordern weiterhin, den Chancenaufenthalt so umzusetzen wie vom Gesetzgeber gedacht,“ so Böhm weiter. „Wie viele der Menschen, die den Chancenaufenthalts erhalten haben, nach den 18 Monaten in eine dauerhaftes Bleiberecht wechseln können, ist noch unklar. Jedoch liegt die Verantwortung nicht nur bei den Betroffenen, wie Innenminister Herrmann es darstellt. Bayern kann sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen, sondern muss strukturelle Gegebenheiten, wie genügend Sprach- und Integrationskurse, bereitstellen“.