Polizeirazzien in ANKER-Zentren verfassungswidrig

Polizei führt regelmäßig „präventive Kontrollen“ in ANKER-Zentren durch / Das Betreten der Unterkunfts-Zimmer verstößt gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung

Am Mittwoch, den 22. Januar 2020 fand im ANKER-Zentrum Schweinfurt eine sogenannte präventive Kontrollaktion der Polizei Unterfranken statt. Zwischen 06.00 Uhr und 09.00 Uhr wurden die knapp 600 Bewohner*innen von einem Großaufgebot von rund 300 Einsatzkräften kontrolliert. Die Polizei Unterfranken spricht in ihrer Pressemitteilung vom 23.Januar 2020 von einer präventiven Kontrolle zur Verhütung von Straftaten und Ordnungsstörungen. Ähnliches trug sich knapp eine Woche später in Zirndorf zu, dort kontrollierte die Polizei Zirndorf anlasslos 14 Zimmer im ANKER-Zentrum. Bereits am 17. Oktober 2019 fand ein ebensolcher Einsatz in der ANKER-Dependance Nürnberg Beuthener Straße statt. Dort hatte die Polizei mit einer Hundertschaft im Rahmen einer gefahrenabwehrenden Kontrolle die Zimmer der mehr als 500 Bewohner*innen betreten und Personalien überprüft.

Das Eindringen der Polizei in die Wohnung gilt als schwerer Eingriff in die Privatsphäre, denn der Wohnraum ist durch Art. 13 Grundgesetz geschützt, die Unverletzlichkeit der Wohnung hat damit Verfassungsrang. Die Bayerische Staatsregierung hat jedoch mit ihrem Integrationsgesetz diese Unverletzlichkeit der Wohnung für Geflüchtete massiv eingeschränkt. Unterkünfte für Geflüchtete wurden 2017 im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (BayPAG) pauschal zu gefährlichen Orten erklärt und der Polizei erweiterte Befugnisse eingeräumt. So können dort laut BayPAG ohne konkreten Anlass Identitätskontrollen vorgenommen sowie zur „Abwehr dringender Gefahren“ Zimmer ohne richterlichen Beschluss betreten werden.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) hält diese Regelung in seiner Entscheidung vom 03. Dezember 2019 zwar grundsätzlich für verfassungskonform, hat für die Anwendung jedoch Grenzen gesetzt. So darf die Polizei „von der Betretungsbefugnis nur im Einzelfall zur Abwehr dringender Gefahren Gebrauch machen“, eine situationsbezogene Konkretisierung der Gefahrenlage ist zwingend erforderlich. Generell eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit anzunehmen, nur weil Geflüchtete in diesen Unterkünften leben, ist unzulässig. Zudem rechtfertigt alleine das Bedürfnis der Polizei, die Identität der Bewohner*innen in diesen Unterkünften festzustellen, „noch nicht den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung“, so der BayVerfGH.

Die kritisierten Einsätze in ANKER-Zentren dürfen schon aus juristischer Sicht nicht stattfinden: „Für die polizeilichen Maßnahmen muss es einen konkreten Anlass geben, der einen Schaden erwarten lässt,“ ordnet der Nürnberger Rechtsanwalt für Migrationsrecht, Yunus Ziyal, den Einsatz nach der Entscheidung des BayVerfGH ein. „Wenn schon die Polizei von präventiven Kontrollaktionen spricht, hat es einen solchen offensichtlich nicht gegeben. Damit wären die Einsätze rechtswidrig!

Laut unseren Informationen hat die Polizei bei allen drei Einsätzen Zimmer betreten, obwohl keine dringende Gefahr gegeben war. Sie hat damit gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verstoßen und die Einschränkungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ignoriert“, kritisiert Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Diese Art von Einsätzen verletzt in hohem Maße die Privatsphäre der betroffenen Bewohner*innen und leistet der Stigmatisierung von Geflüchteten als ‚kriminell‘ Vorschub. Wir fordern das bayerische Innenministerium auf, solche verfassungswidrigen Einsätze umgehend zu unterbinden!