Bürokratie und Unwille – Deutsche Politik gefährdet Menschenleben

Vulnerable Personen in Afghanistan müssen geschützt und evakuiert werden | Bayerischer Flüchtlingsrat fordert sichere Fluchtwege und einen Abbau bürokratischer Hürden

Nach dem Abzug der NATO-Truppen nahmen die Taliban in kürzester Zeit eine Provinz nach der anderen sowie deren Hauptstädte ein. Besonders in Kabul spielen sich dramatische Szenen ab. Tausende Afghan:innen versuchen zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen.

Den Bayerischen Flüchtlingsrat erreichen Anfragen von verzweifelten Menschen, deren Familienangehörige sich noch in Afghanistan befinden. Viele davon befinden sich seit langem in Familiennachzugsverfahren, die über Jahre verschleppt wurden. Andere sind wegen ihrer Tätigkeiten hoch gefährdet. Aktuell können sie sich von den deutschen Behörden nicht viel erwarten. Wie das Auswärtige Amt bei Anfragen mitteilt, werden bei der Evakuierung zurzeit nur Personen mit einer deutschen Staatsbürgerschaft berücksichtigt.

„Die aktuelle Situation in Afghanistan ist eine Katastrophe. Das Verhalten der deutschen Bundesregierung ein Totalausfall. Die Lage vor Ort ist seit Jahren bekannt. Unzählige Betroffene, Institutionen, Afghanistanexpert:innen und nicht zuletzt die deutsche Botschaft haben vor einer massiven Verschlimmerung gewarnt. Was Bundesaußenminister Heiko Maas eine ‚Fehleinschätzung‘ schimpft, nennen wir politisch motivierte Ignoranz,“ so Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Weder Äußerungen deutscher Spitzenpolitiker:innen noch aktuelle Evakuierungsversuche lassen viel Hoffnung zu. Deutschland relativiert seine Verantwortung, während gleichzeitig das rassistische Narrativ von ‚ein weiteres 2015 darf es nicht geben‘ gesponnen wird. Es ist eine Schande!“

Im Juni haben die Union und die SPD noch einen Antrag im Bundestag auf erleichterte Aufnahme afghanischer Ortskräfte abgelehnt. Im Juli ging ein Abschiebecharter nach Afghanistan, nur wenige Tage vor dem Sturm auf Kabul haben Union und SPD Abschiebungen nach Afghanistan weiter forciert. Ob die Aufnahme von Ortskräften, Familiennachzugsverfahren oder die Evakuierung von schutzsuchenden Menschen – es scheitert an hohen bürokratischen Hürden und politischem Unwillen.

„Wenn der Kanzlerkandidat der Union von ‚rechtzeitigen humanitären Hilfen‘ spricht, ist das angesichts der letzten Monate und einem fast leeren ersten Evakuierungsflug nur noch unerträglich“, so Böhm weiter. „Die Bundesregierung muss ihrer Verantwortung nachkommen und gefährdete Menschen in Afghanistan evakuieren, statt nur humanitäre Hilfen zu versprechen. Zumindest Armin Laschet erweckt den Eindruck, sein Handeln sei davon bestimmt, Geflüchteten nicht zu helfen, sondern sie weit weg zu halten von Deutschland. Damit disqualifiziert er sich moralisch angesichts des Schutzbedürfnisses der Menschen in Afghanistan.“

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert die Bundesregierung auf, alle Ortskräfte die für deutsche Institutionen und Einrichtungen gearbeitet haben, sowie Menschenrechtsaktivist:innen, Familiennachzügler:innen und besonders vulnerable Personen und Gruppen sofort zu evakuieren. Es braucht jetzt sichere und legale Fluchtwege für alle Menschen in Afghanistan, die das Land verlassen wollen oder müssen. Wir fordern, die deutsche Vertretung in Islamabad/Pakistan massiv aufzustocken. Zudem müssen afghanische Staatsangehörige an allen deutschen Botschaften Visaanträge stellen können. Einreisepapiere für etwa einen Familiennachzug oder zur Aufnahme einer Arbeit und Ausbildung in Deutschland, müssen unbürokratisch und schnell ausgestellt werden. Relocation- und Resettlementprogramme müssen nun schnell und im großen Stil möglich gemacht werden. Hierzu zählen auch umfassende Landesaufnahmeprogramme durch die Bundesländer. Andere Bundesländer, auch Bayern, sind aufgefordert, dem Beispiel Schleswig-Holsteins zu folgen. Afghan:innen die bereits in Deutschland sind und einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben, müssen ein effektives Bleiberecht erhalten.