Verfolgte Frauen besser schützen!

Zum Internationalen Frauentag fordert PRO ASYL und Flüchtlingsräte Bund und Länder auf, geflüchtete Frauen in Deutschland besser zu schützen. Insbesondere in Gemeinschaftsunterkünften sind Frauen nicht ausreichend vor Gewalt geschützt und in Asylverfahren wird geschlechtsspezifische Verfolgung häufig nicht ausreichend anerkannt.

Knapp 94.000 Frauen und Mädchen haben in Deutschland 2023 einen Asylerstantrag gestellt. Insbesondere im Krieg und in stark autoritär und patriarchal geprägten Verhältnissen müssen Frauen Zwangsverheiratung, körperliche und seelische Misshandlungen, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere Grausamkeiten bis hin zu ihrer Ermordung fürchten.

Fehlender Gewaltschutz in Unterkünften

Zum Internationalen Frauentag 2024 erinnert PRO ASYL daran, dass Deutschland zu wenig tut, um  Frauen und Mädchen – insbesondere in den Sammelunterkünften – umfassend vor Gewalt zu schützen.
„Obendrein erhalten schutzsuchende Frauen durch den jüngsten Beschluss zum Asylbewerberleistungsgesetz erst nach drei langen Jahren einen relativ ungehinderten Zugang zu medizinischer Versorgung und in das reguläre Gesundheitssystem. Damit haben Bund und Länder die Situation von gewaltbetroffenen geflüchteten Frauen nicht besser gemacht, sondern im Gegenteil unverantwortlich verschärft“, erklärt Andrea Kothen, Referentin von PRO ASYL. „Auch diskriminierende Bezahlkarten werden das Leben der betroffenen Frauen, etwa bei einem notwendigen Umzug in ein Schutzhaus, alles andere als leichter machen.“

Die seit 2018 geltende Istanbul-Konvention verpflichtet die Staaten unter anderem zu geschlechtssensiblen Aufnahme- und Asylverfahren. Sie bekräftigt für gewaltbetroffene Frauen die Gewährung internationalen Flüchtlingsschutzes nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention. Im deutschen Asylverfahren werden jedoch bis heute geflüchtete Frauen mit Gewalterfahrung nicht systematisch identifiziert. Sie sind in den ihnen zugewiesenen Unterkünften nicht ausreichend vor Gewalt geschützt und haben keinen ungehinderten Zugang zu Beratung und Hilfsangeboten.

Mangelnder Blick auf „geschlechtsspezifische Verfolgung“

Auch in puncto Asyl wird die Bundesrepublik den Vorgaben der Istanbul-Konvention bislang kaum gerecht. „Allein die Zahlen legen nahe, dass das Thema geschlechtsspezifische Gewalt beim Bundesamt nicht angemessen beleuchtet wird“, sagt Andrea Kothen.

Nur bei knapp 4.800 Frauen und Mädchen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2023 eine geschlechtsspezifische Verfolgung festgestellt – das entspricht lediglich 7,8 Prozent der inhaltlich geprüften beziehungsweise 6,0 Prozent aller Asylentscheidungen von Frauen. Von den 4.800 Asylantragstellerinnen kamen allerdings allein 3.200 aus Afghanistan. Hier hatte das Bundesamt im Verlauf des Jahres 2023 seine Praxis verbessern müssen, nach dem einige EU-Staaten Afghaninnen als verfolgte soziale Gruppe betrachteten und schließlich auch die Europäische Asylagentur ihre Anerkennung empfahl.

Bezogen auf andere Herkunftsländer lässt die behördliche Einsicht in die strukturelle Gewalt gegen Frauen auf sich warten. Beispiel Iran: Trotz Scharia-Gesetzen und brutaler Repressionen gegen Frauen, die sich nicht klaglos den vorgeschriebenen Geschlechterregeln unterwerfen wollen, erging nur in 7,6 Prozent der inhaltlich geprüften Asylanträge von Iranerinnen eine Anerkennung aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung. Beispiel Türkei: Hier erkannte das Bundesamt gar nur in 2 Prozent der inhaltlich geprüften Fälle eine geschlechtsspezifische Verfolgung. Dabei wurde die Türkei 2018 vom Europarat aufgrund der sich immer stärker ausbreitenden Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen von Mädchen und willkürlicher richterlicher Milde gegenüber Gewalttätern gerügt. 2021 trat das Land medienwirksam aus der Istanbul-Konvention aus.

EuGH: Flüchtlingsanerkennung für gewaltbetroffene Frauen
Durch ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Januar 2024 sollte sich das künftig ändern: Das Gericht stellte klar, dass Frauen eines Herkunftslandes je nach den dort herrschenden Verhältnissen auch insgesamt als „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie gelten können. Frauen, die im Herkunftsland körperliche oder psychische Gewalt erleiden – was ausdrücklich sexualisierte und häusliche Gewalt einschließt – können demnach als Flüchtlinge anerkannt werden.

Erfreulich deutlich weist der EuGH in dem Urteil zudem auf die Wichtigkeit und Verbindlichkeit der Istanbul-Konvention hin: Nicht nur die Europäische Union, die die Konvention 2023 unterzeichnet hat, sondern auch alle EU-Staaten sind dazu angehalten, die asylrechtlichen Vorgaben „im Lichte der Istanbul-Konvention auszulegen“. Bund und Länder haben bis Ende 2025, zur nächsten Überprüfung der Umsetzung der IK durch den Europarat, noch einige Hausaufgaben zu machen. PRO ASYL fordert das BAMF auf, seine Entscheidungspraxis entsprechend zu ändern und allen Antragstellerinnen, die verfolgt werden, weil sie Frauen sind, Asyl zu gewähren.