Bayerischer Flüchtlingsrat zum Chancenaufenthaltsrecht

Kein mutiger Schritt in eine Einwanderungsgesellschaft / Gesetzentwurf muss nachgebessert werden / Bayerischer Innenminister diffamiert Geflüchtete

Die Ampel-Koalition hat ihren Gesetzentwurf zum Chancenaufenthaltsrecht beschlossen und am 6.7.2022 veröffentlicht. Danach können geduldete Geflüchtete, die bereits seit über fünf Jahren in Deutschland leben, einen auf ein Jahr befristeten Aufenthaltstitel bekommen. In dieser Zeit müssen sie Nachweise über ihre Identität bringen, Pässe beantragen und sich eine Arbeit suchen, um ihren Lebensunterhalt ohne Sozialleistungen zu sichern. Gelingt ihnen das, wird der Aufenthalt verlängert.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat die Pläne der Ampel-Koalition bereits mehrfach kritisiert. Das Chancenaufenthaltsrecht ist alles andere als ein mutiger Schritt in eine moderne Einwanderungsgesellschaft. Es ist eine Kopie der Altfallregelung, die 2006 von der Innenministerkonferenz beschlossen und ad hoc umgesetzt wurde, und im Jahr 2007 eine gesetzliche Regelung durch den Bundestag fand (s. § 104a AufenthG). Das Chancenaufenthaltsrecht wird dennoch einem Teil der abgelehnten und bereits seit langen Jahren hier lebenden Geflüchteten eine Bleibeperspektive in Deutschland bieten. Dies begrüßen wir!

Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert den Gesetzentwurf in zwei zentralen Punkten

Beschränkung auf geduldete Geflüchtete: Der Gesetzentwurf spricht pauschal von „geduldeten Ausländern“, wenn er Geflüchtete meint, deren Asylanträge abgelehnt wurden und die bisher nicht abgeschoben werden konnten. Diese Beschränkung im Wortlaut wird in Bayern als Aufruf verstanden, möglichst vielen ausreisepflichtigen Geflüchteten schlicht die Duldung zu verweigern. Stattdessen erhalten sie Grenzübertrittsbescheinigungen, Fantasiepapiere wie einen „Bescheid über die Ausreisepflicht“, es werden Duldungen als erloschen gestempelt oder ohne jeglichen Ersatz ganz eingezogen. Dadurch können bereits jetzt viele Geflüchtete keine Aufenthaltserlaubnis nach einer der bestehenden Altfallregelungen bekommen, da die „Duldung“ zentrale Erteilungsvoraussetzung ist.

Enge Straftatengrenzen: Straftäter:innen sollen nicht in den Genuss des Chancenaufenthalts kommen. Ausgenommen sind nur geringe Geldstrafen von 50 Tagessätzen bei Straftaten nach allgemeinem Strafrecht und 90 Tagessätzen bei Straftaten nach dem Ausländerrecht. Es gibt jedoch viele Geflüchtete, die wegen illegaler Einreise auf dem Landweg, Einreise mit gefälschten Visa auf dem Luftweg, Residenzpflichtverstößen, jugendlichen Bagatelledelikten oder ähnlichem zu deutlich höheren Geldstrafen verurteilt wurden. Alle diese Menschen sind vom Chancenaufenthalt ausgeschlossen.

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert deshalb die Änderung der Formulierung „geduldeter Ausländer“ in „ausreisepflichtiger Ausländer“ und die massive Anhebung der Straftatengrenzen: Geldstrafen sollten grundsätzlich nicht berücksichtigt werden!

Wir hätten uns eine mutige Neuregelung gewünscht, die allen abgelehnten Geflüchteten eine echte Bleibeperspektive bietet. Stattdessen müssen wir davon ausgehen, dass in Bayern wenige Geflüchtete von der geplanten Neuregelung profitieren können. Das Chancenaufenthaltsrecht bietet zu viele Einfallstore, dieses zu unterwandern. Deshalb muss der Gesetzentwurf dringend nachgebessert werden“, erklärt Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. Empört zeigt er sich über die Einlassungen des bayerischen Innenministers: „Lange Jahre war die CSU Teil der Bundesregierung und stellte regelmäßig die Innenminister. Sie ist hauptverantwortlich für die vielen Gesetzesverschärfungen der vergangenen Jahre und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass so viele Geflüchtete als ausreisepflichtig gelten, obwohl sie gute Gründe für ihre Flucht hatten. Sie jetzt als arbeitsscheu zu diffamieren, obwohl sie seit Jahren unter Arbeitsverboten leiden und zur Untätigkeit gezwungen sind, ist infam. Auch die Behauptung, das Chancenaufenthaltsrecht fördere die unkontrollierte Einwanderung geht völlig an der Realität vorbei. Auch wenn in Bayern in einem Jahr gewählt wird, sollte für den Innenminister das Bedienen rechter Wählergruppen auf dem Rücken von Geflüchteten ein absolutes Tabu sein!