Krank und schutzlos in Kabul

Bayern will behinderten und psychisch kranken Afghanen in Not und Elend abschieben

Am Mittwoch, den 06. November 2019, wird voraussichtlich die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan gehen. Einer der Betroffenen ist Hossain A. aus Nürnberg. Der 26-jährige wurde am 15. Oktober direkt vor dem Verwaltungsgericht verhaftet, wo zuvor seine Klage gegen die Ablehnung seines Folgeantrages verhandelt wurde.

Hossain ist seit 9 Jahren in Deutschland, Analphabet und hat eine geistige Behinderung. Deshalb hat er einen Behindertenausweis mit einem Grad von 50 Prozent. Da er im Alltag nicht in der Lage ist, in den Bereichen Gesundheit, Vermögen, Wohnung, Vertretung gegenüber Behörden und in aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten selbst für sich zu sorgen, hat er seit 2011 einen gesetzlichen Betreuer. Die gesetzliche Betreuung wurde erst im April 2019 verlängert. Weiter leidet Hossain an einer depressiven Störung und hatte in der Vergangenheit bereits Suizidgedanken geäußert. Straffällig ist er nie geworden. Sogar das Amtsgericht Ansbach lehnte einen im Oktober 2019 gestellten Haftantrag der Zentralen Ausländerbehörde Mittelfranken zunächst ab, da es die Hossains Reisefähigkeit in Zweifel zog.

Hossain hat in Afghanistan keine Familie und sozialen Netzwerke. Sein großer Bruder wie auch sein Onkel wohnen in München. Die Mutter lebt im Iran, sein Vater ist vor Jahren verstorben. Seine Familie in Deutschland macht sich große Sorgen, sollte er abgeschoben werden: „Hossain kann sich aufgrund seiner geistigen Behinderung kaum verständigen, er spricht auch nur ganz wenig. Er ist absolut nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern“, erzählt sein Onkel Abdul A. „Wir haben große Angst um ihn. Auch gesunde Menschen haben massive Probleme in Afghanistan – aber er braucht bei allem Unterstützung. Wo soll er hin? Wir haben keine Familie mehr vor Ort.Alleine in Afghanistan wird er untergehen.“

Indessen spitzt sich die Lage in Afghanistan weiter zu. So haben laut dem aktuellen UNAMA-Bericht die Zahlen ziviler Opfer wieder Höchstwerte erreicht. Das 3. Quartal 2019 war das gewaltvollste seit Beginn der Aufzeichnung. Selbst die deutsche Polizeigewerkschaft will ihre Beamten nicht nach Kabul schicken und fordert, die Ausbildungsmission in Kabul aufgrund der Sicherheitslage auszusetzen. Die Ethnologin Friederike Stahlmann vom Max-Planck-Institut hat in ihrer jüngst veröffentlichten Studie nachrecherchiert, was mit abgeschobenen Afghanen geschieht. Demnach ist Gewalt gegen Abgeschobene an der Tagesordnung und tritt oftmals schon nach kürzester Zeit ein. Damit ist die Behauptung der Bundesregierung, junge und gesunde Männer seien in Afghanistan überlebensfähig, eindeutig widerlegt.

„Wir sind empört, dass Bayern einen geistig behinderten Mann, der sogar in Deutschland als schutzbedürftig und vulnerabel gilt, nach Afghanistan abschieben will. Hossain ist allein nicht in der Lage, in Afghanistan für sein Auskommen und Überleben zu sorgen“, kommentiert Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Bei einer Abschiebung befürchten wir Schreckliches. Die bayerischen Behörden schieben Hossain sehenden Auges in Not, Elend und Lebensgefahr ab.“