Abschiebeversuch mit dramatischem Ausgang

Familie mit zwei kranken Kindern sollte nach Georgien abgeschoben werden

In der Nacht auf den 2. Juli war es soweit – die Polizei kam in die Nürnberger Unterkunft der vierköpfigen Familie D., um sie nach Georgien abzuschieben. Am 02. Juli ging ein Sammelcharter von Berlin nach Georgien. Die Abschiebung wurde abgebrochen, da der völlig verzweifelte Vater aus dem Fenster sprang. Im Krankenhaus wurde er ins künstliche Koma versetzt, da er an mehreren Brüchen sofort operiert werden sollte. Weitere Operationen stehen noch an. „Ich kann nicht zusehen, wie mein Sohn in Georgien stirbt,“ teilte Herr D. noch vom Krankenbett mit.

Familie D. verkaufte in Georgien alles, was sie besaß, seit März 2018 sind sie in Deutschland. Die zwei Kinder leiden beide an Krankheiten. So ist der 9-jährige Sohn schwer an Mukoviszidose erkrankt. Der Verein Mukoviszidose e.V. und das Schreiben einer Spezialklinik bestätigen, dass es, obwohl ein Zentrum für diese Krankheit in Georgien existiert, wenig Behandlungsmöglichkeiten gibt und die medikamentöse Versorgung sehr kostspielig ist. Das Bundesamt hat die Asylanträge jedoch abgelehnt und ist der Meinung, die Krankheiten könnten dem Grunde nach auch in Georgien behandelt werden – wohlwissend, dass der Zugang zu speziellen Therapiemöglichkeiten und Medikamenten schwierig ist. Auch die 12-jährige Tochter hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Aufgrund einer Hörschädigung benötigt sie eine Operation. In Georgien droht ihr sogar die Gehörlosigkeit, wenn sich die Familie diese kostspielige Operation nicht leisten kann. In ihrer Hoffnungslosigkeit hat sich Familie D. an die ehemalige Schulsozialarbeiterin ihrer Tochter gewandt. Diese hat eine Petition an den Bayerischen Landtag eingereicht. Dort wurde grundsätzlich die Dramatik der Familiengeschichte erkannt und die Petition an den Bundestag weitergereicht. Ende Juni wurde die Petition dort abgelehnt, das Schreiben erreichte die Sozialarbeiterin am 1. Juli. Zeit, um sich mit Anwalt und Unterstützer*innen zu besprechen blieb nicht, in der gleichen Nacht sollte die Familie abgeschoben werden.

Mukoviszidose ist eine Stoffwechselerkrankung und zählt zu den Risikogruppen für eine Covid-19 Erkrankung. Bisher ist unklar, wie sich Covid-19 auf Kinder mit schwachem Immunsystem auswirkt. Jedoch wird allerorts zu noch mehr Hygiene als ohnehin und konsequentem Einhalten der Abstandsregeln geraten. Es wird empfohlen, jegliches Handeln, das andere Kontakte miteinschließt, individuell am jeweiligen Gesundheitszustand sorgfältig abzuwägen.

„Nach einem ‚sorgfältigen Abwägen‘ sieht der Abschiebeversuch der Zentralen Ausländerbehörde Mittelfranken nicht aus. Die Krankheiten der Kinder waren den Behörden bekannt. Nun eine solch vorbelastete Familie in einem der ersten Sammelcharter abschieben zu wollen, zeugt von schauerlicher Unmenschlichkeit,“ so Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Georgien hat verhältnismäßig wenig Covid-19 Infektionen zu verzeichnen. Doch ohne festen Wohnsitz und finanzielle Mittel sind weder ein Infektionsschutz noch eine adäquate Behandlung der Krankheiten zu gewährleisten.“

Deutschland hat am 1. Juli 2020 die Einreisebestimmungen für viele Länder erleichtert und dies scheinbar gleichzeitig zum Anlass genommen, Abschiebungen wieder im großen Stil durchzuführen. Während in Georgien zu diesem Zeitpunkt die Grenzen eigentlich noch geschlossen waren, wurde für einen Abschiebecharter offensichtlich eine Ausnahme gemacht. „Es hat sich nichts geändert“, so Böhm weiter. „Ob Corona oder Immunkrankheiten – konsequentes Abschieben geht vor Infektionsschutz und Humanität. Wir hoffen, dass die Familie nun erstmal zur Ruhe kommen kann und fordern eine erneute asyl- und aufenthaltsrechtliche Überprüfung“.